Gregor Jansen

Katalogtext „Naturbilder“ (Auszug):

Zwar ist bei den Naturbildern von Beate Müller Natur zu sehen, beispielsweise Bäume, Wiesen, Sträucher oder das Meer; jedoch wird uns schnell bewusst, dass wir mit einem gängigen Bild von Natur im modernen Leben konfrontiert werden. Was diese Fotografien abbilden und darstellen, könnte man zutreffender als kultivierten Naturraum bezeichnen.

Die Reizbarkeit des Natürlichen und der Reiz dieser bescheidenen Bilder unseres – und vor allem der Künstlerin nahen – Lebensraums, ist eindrucksvoll. Wir stehen staunend vor der unglaublich schlichten Anwandlung der Natur in diesen Bildern, in dem Wirklichkeitsausschnitt eines bestimmen Moments an einem bestimmten Ort, meist draußen, aber auch bisweilen aus dem Auto oder Zug aufgenommen, häufig flüchtig und zugleich höchst atmosphärisch. Das fotografische Abbild der Natur als Kultur ist nur sinnlich erfahrbar und mit Worten kaum zu beschreiben, gleichwohl es ohne Worte als kulturelles Momentum auch nicht in einem erfahrbaren Kontext stehen würde. Man muss nicht die Welt bereisen, um die Schönheit und Geschichten des Menschseins zu erkunden. Mit-unter reicht es, seine Umgebung zu beobachten, oder die stillen und sehr einfühlenden Fotografien von Beate Müller zu betrachten.

 

Häufig scheinen wir damit nicht zufrieden, bestimmen doch heute Bilderfluten in digitaler Form die Wahrnehmung von Welt; einem permanent, erregt-nervösen Fern-Sehen ähnlich. In der instantanen Verfügbarkeit von Bildern als Informationen oder Interpretationen der Geschehnisse in der Welt und einem fatalen Glauben in diese, verfestigt sich die Starrheit des Meinens uns die Gier des Wollens, wohingegen auf der anderen Seite die Kontemplation und Suche nach Geist- und Körpergefühl ins Esoterische übersteigert wird. Es besteht ein nur ungenügend reflektierter Zusammenhang zwischen Bilderwelt und Körpergefühl.

 

Die Bilder von Beate Müller halten auf ästhetische Weise gegen diese sozio-psychologischen Momente; vermitteln uns ein anderes Bild von Natur und vermeiden dabei jede noch so kleine Effekthascherei. In ihren grundehrlichen, zarten als auch sachlichen, leisen wie melancholischen Bildern sind Aufnahmemomente festgehalten, die nicht unbedingt bildwürdig erscheinen, aber eine bestimmte Art der Betrachtung hervorrufen: So in den Blick gerückt nehmen wir ein visuelles Ereignis wahr und blicken auf Details und Ausschnitte einer uns umgebenden Natur in der unbegreiflichen ästhetischen Fülle ihres Erscheinens.

 

Müller sucht fotografisch die Natur als Abbild von Lebensräumen und deren Empfindungsqualitäten. Sie konzentriert sich auf Flüchtiges und Durchlässiges; Vielschichtigkeit zeichnen nicht nur die Motive von Vorhängen und Schleiern aus. Sie vertraut den hauchzarten Details im Zusammenklang einer Gesamtkomposition und widmet sich mit größter Sorgfalt der Anwesenheit und der Bedeutung scheinbarer Belanglosigkeiten. Ihre minimalistisch oder bisweilen filmisch träumerisch wirkenden Aufnahmen fokussieren eine beiläufige Hinwendung, ein schlichtes Aufnehmen von Erlebnissen neben dem Hauptgeschehen. Die kargen Aufnahmen, in ihrer Reduktion und ihrem Verzicht auf erzählfreudige Inhalte, vergegenwärtigen uns Momente und so sind wir über diese Bilder plötzlich ganz nah bei uns selbst.

 

Das Entziehen der Information hat eine Konzentration auf die Bildsprache der Aufnahmen zur Folge. Sie selber verwendet den Begriff einer erweiterten Poesie, mit dem sie eine bestimmte Form der Anschauung verbindet, einhergehend mit der Anerkennung von Qualitäten wie Ahnung, Spur und Berührung. In Momenten des Innehaltens und Nachsinnens werden solche Qualitäten besonders erfahrbar. In dieser tastenden, sensibel die Oberflächen und sensitiven Eigenschaften der sichtbaren Dingwelt untersuchenden Betrachtungsart, unternimmt Müller eine Bildrecherche eines mehr und mehr verloren geglaubten Sinns des Daseins, sozusagen den von Empfindsamkeit und Demut.

 

Beate Müllers Bilder sind keine leichte Kost, auch wenn sie auf den ersten Blick einfach wirken, setzen sie ein geübtes Auge voraus. Wie jede gute Kunst, offenbaren sie sich nicht unmittelbar, sondern sie entfalten ihr Potenzial langsam und geben nicht gleich alles preis. Als Betrachter muss man einwilligen und die Geduld haben zu warten. Dann öffnet sich eine reiche Welt individueller Assoziationen, die in feinen Spuren in den Bildern angelegt sind. Melancholie gegenüber und inmitten der sichtbaren Welt klingt an, eine gleichzeitige Durchdringung von Bildsicht und einer unsichtbaren emotionalen Ebene von Weltversunkenheit. So entstehen Aussagen über die Gleichzeitigkeit einer zusammenfallenden „Aussen- und Innensicht, bei der sich ein ästhetisch neu motiviertes Bild einstellt – eventuell auch ein ganz anderes als das Beabsichtigte,“ sagte Müller einmal. Was im Unbeabsichtigten aufscheint und bleibt, ist das feine Beobachten am Rande  eines unwirklichen, unspektakulären Ganzen, ein Vorschlag zu weltzugewandter Gelassenheit, die sich beispielsweise unbemerkt in den Pfützen spiegelt, wie im Brunnen der Hippokrene. Letztlich ein ganz anderes Selbst-erkennen in Demut.